Plenarrede von Raphael Tigges MdL zu Schutz vor Missbrauch

"Jeder Fall ist ein Fall zu viel"

Am Freitag hat Raphael Tigges zum gemeinsamen Antrag von CDU, SPD, FDP und Grünen anlässlich der Missbrauchsfälle in Lügde im Parlament gesprochen. Durch vier Handlungsansätze soll der Schutz von Kindern und Jugendlichen verbessert werden.
 
Raphael Tigges MdL im Landtag NRW
Durch mehr niederschwellige Zugänge zu Beratung und Hilfe, bessere Vernetzung von Jugendämtern, Polizei und Schulen, bessere technische, personelle und rechtliche Rahmenbedingungen für die Ermittler und schärfere strafrechtliche Behandlung von sexueller Gewalt.
 
Lesen Sie hier die ganze Rede im Wortlaut:
Frau Präsidentin,
 
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
 
Fassungslosigkeit, Wut und Entsetzen sind die Gefühle die wir alle miteinander teilen, wenn wir die Berichte über den tausendfachen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in unserem Bundesland hören.
 
Als Vater von vier heranwachsenden Kindern erlaube ich mir zu beurteilen, dass es so ziemlich das schlimmste sein muss, was Kindern - was einer Familie überhaupt passieren kann, wenn ein Kind Opfer von sexueller Gewalt wird.
 
Eltern möchten, dass Ihre Kinder glücklich und gesund aufwachsen und sie behütet ins Leben begleiten. Durch den sexuellen Missbrauch aber werden Kinderseelen zerstört, körperliche und psychische Leiden sind oft die Folge, weit über den Tag hinaus an dem sie Opfer werden.
 
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Gedanken sind heute zu allererst bei den Kindern die zum Opfer des Missbrauchs wurden und bei deren Eltern, die unerträgliches Leid erfahren haben und die sich in diesen Tagen mit den Geschehnissen im Rahmen der laufenden Ermittlungen wieder auseinander setzen müssen.
 
Ja, es ist absolut notwendig, dass Polizei und Staatsanwaltschaft die Straftaten umfassend aufklären. Dazu gehören sowohl die Ermittlungen zu den unmittelbaren Tätern, als auch der Blick auf mögliche Verfehlungen bei öffentlichen Behörden.  
 
Ich bin daher Herbert Reul für seine klaren und auch emotionalen Worte gestern und heute hier im Plenum sehr dankbar.
 
Es ist der richtige Weg den Landtag umfassend und transparent einzubinden und zu informieren und alle Missstände deutlich anzusprechen. Die Einrichtung einer plenarbegleitenden Kommission ist daher zu unterstützen!
 
„Jeder Fall ist ein Fall zu viel“ – und so ist es uns wichtig, mit unserem Antrag deutlich zu machen, dass wir die Aufgabe und die Verantwortung haben, im Rahmen unserer Möglichkeiten alle Kräfte zu mobilisieren, um den Schutz von unseren Kindern und Jugendlichen vor sexuellen Übergriffen und Missbrauch weiter zu verbessern.
 
Hierbei geht es uns nicht um Schnellschüsse und Vorverurteilungen, sondern es geht darum, Strukturen zu hinterfragen und zu identifizieren.
 
Es geht darum, personelle, organisatorische und fachliche Defizite zu eliminieren, um darüber zu einer deutlichen besseren Prävention zu kommen.
Zunächst ist es aber am wichtigsten, den betroffenen Kindern und deren Familien die notwendige Betreuung und Hilfe zukommen zu lassen!
 
Die Missbrauchsfälle von Lügde zeigen einmal mehr, wie vielschichtig und schwierig die effektive Bekämpfung von sexueller Gewalt ist. Es ist eine Querschnittsaufgabe über Ministerien, über Bund, Länder, Kommunen und Institutionen hinweg.
 
Ich möchte zu unserem Antrag vier wichtige Handlungsansätze aufzeigen:
 
1.) Machen wir uns zunächst mal ehrlich und erkennen, dass sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche, gegen Mädchen und Jungen, kein punktuelles Problem ist und keine Einzelfälle sind und dass nach wie vor die Dunkelziffer sehr hoch ist.
 
Wir brauchen mehr niederschwellige Zugänge für Kinder- und Familien zu Beratungs- und Hilfeleistungen!
 
Wir müssen viel deutlicher machen, welche Beratungs- und Hilfeangebote es in unserem Land gibt.
 
Gleichzeit müssen wir auch dafür Sorge trage, dass wir umgekehrt auch den frühzeitigen Zugang der Fachleute in die Familien ermöglichen, um rechtzeitig eingreifen zu können.
 
2.) Analyse von Strukturen und Schnittstellen
 
Nicht zuletzt bei den aktuellen Fällen müssen wir erkennen, dass trotz einer Vielzahl an vorhandenen Maßnahmen und Angeboten die Prävention scheinbar nicht ausreichend greift.
 
Deshalb ist es richtig zu hinterfragen, ob alle 186 Jugendämter in unserem Bundesland in der Frage der Prävention sexueller Gewalt auf einem qualitativ gleichwertig guten Niveau, hinsichtlich der Fachlichkeit, der Verfahrensabläufe und der personellen Ausstattung sind?
 
Deshalb müssen wir uns mit Wirkungszusammenhängen beschäftigen und mit dem Informationsfluss über die Schnittstellen hinweg.
 
Wir müssen jetzt Jugendämter, Polizei, Schulen und Einrichtungen der Jugendhilfe bundeslandübergreifend ausreichend vernetzen!
 
Wir müssen auch gewährleisten, dass alle relevanten Informationen und Daten schnell weitergegeben werden, um effektiv handeln zu können!
 
Datenschutz, liebe Kolleginnen und Kollegen, darf nie über dem Schutz der Kinder stehen!
 
3.) Wir müssen unseren Ermittlern die notwendigen technischen, personellen und vor allem auch rechtlichen Rahmenbedingungen an die Hand geben, um effektiv aufklären zu können. Das gilt bspw. für die Ermittlungen im Darknet und in den sozialen Medien, wo es nach wie vor schwer ist, Zugänge zu finden.
 
Diese ermittelnden Tätigkeiten sind für die Beamten emotional und psychisch hoch belastend. Sie haben daher unsere volle Unterstützung und Hilfe verdient.  
 
Gleiches gilt aber auch für die Mitarbeiter in den Jugendämtern vor Ort, die oft mit den Abgründen menschlichen Handelns konfrontiert werden.
 
4.) Die Bürger müssen unserem Rechtsstaat vertrauen können!
 
Wir brauchen daher für diese Taten und den Anforderungen der heutigen Zeit den richtigen Rechtsrahmen und müssen bestehende Gesetze konsequent anwenden!
 
Sexuelle Gewalt muss strafrechtlich nach dem behandelt werden, was es ist. Nämlich kein Vergehen, sondern ein Verbrechen!
 
Ich werbe deshalb dafür, dass wir uns gemeinsam auf den Weg machen und prüfen, inwiefern Paragraph 176 Strafgesetzbuch reformiert werden muss und wie wir aus Nordrhein-Westfalen heraus diesen Prozess anstoßen und unterstützen können.
 
Ich bin der Überzeugung, dass es nicht nur gesellschaftlich, sondern auch juristisch, ein wichtiges Zeichen ist, wenn wir klar machen, dass es ein Verbrechen ist, Körper und Seele eines Kindes zu missbrauchen.
 
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Ernst dieses Themas und dieser Debatte eignen sich nicht für politische Grabenkämpfe, denn es geht um das körperliche und seelische Wohl unserer Kinder.
 
Es muss endlich Schluss sein mit Missbrauch von Kindern und Jugendlichen! Wir brauchen einen starken Staat für die schwächsten unserer Gesellschaft!
 
Das ist eine Aufgabe für uns alle – für Zivilgesellschaft, für Staat und auch für jeden einzelnen.
Nicht Wegschauen, nicht tabuisieren, sondern Handeln!
 
Wir wollen mit diesem Antrag, die richtigen Rahmenbedingungen für einen effektiven Kampf gegen sexuelle Gewalt und Missbrauch erarbeiten und daher ist es gut, dass alle demokratischen Fraktionen den Antrag der NRW-Koalition unterstützen.
 
Vielen Dank!